Diese Inhalte sind Auszüge aus dem Buch "sch", das im Oktober 2003 erscheint. Jetzt bestellen!

Über Medien

von Dr. Stefan Zahlmann

Die Bedeutung der Medien für die Wahrnehmung und Interpretation eigenen Scheiterns ist nicht zu überschätzen. Der mediale Diskurs über das Scheitern ist beinahe absolut. Neben zahlreichen Talkshows zeigen auch viele Reality-Formate wie „Big Brother“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ das Scheitern von Menschen öffentlich. In der Geschichte der Massenmedien wird dieser Diskurs nicht nur in den modernen AV-Medien, sondern auch in den Printmedien geführt. Und findet, je weiter man in der Geschichte der Menschheit zurückreist, seinen Anfang in Mythen und Religionen. Die Vertreibung aus dem Paradies ist gleichsam seit dem Beginn des Sprechens über den Menschen das Grundmotiv individuellen Scheiterns.

Doch erst seit der Globalisierung der Mediengesellschaft und der Erhöhung des Tempos von Informationsprozessen bis zur unmittelbaren Gleichzeitigkeit von Aussage und Rezeption geht die Herausbildung eines paradoxen Phänomens einher: Biografiekonzepte und damit auch das Wissen über ihr mögliches Scheitern, werden immer internationaler und situativer. Jedem Mediennutzer der westlichen Gesellschaft steht zumindest theoretisch ein nahezu überwältigendes Wissen über biografische Alternativen zum eigenen Leben gegenüber. Scheitern ist damit eigentlich unmöglich geworden, denn führt die eine biografische Strategie nicht zum gewünschten Ziel, so könnte sie zumindest theoretisch durch eine gleichwertige andere ersetzt werden. Zugleich fällt durch eine immer stärker werdende Individualisierung von Biografiemustern, nicht zu verwechseln mit einer Vereinsamung des Menschen, auch die Notwendigkeit weg, sich an Wertehorizonten traditioneller sozialer Bindungen zu orientieren. Trotzdem gewinnt individuelles Scheitern eine immer stärker werdende Bedeutung. Hier zeigt sich die besondere Bedeutung des Scheiterns in westlichen Gesellschaften. Es wird zum Symbol einer neuen Form von Identität. Einer internationalen Identität, einer epistemischen Gemeinschaft, die sich nicht mehr in erster Linie durch die Zugehörigkeit zu einer Nation, eines Geschlechts, einer Generation oder einer Ethnie konstituiert. Diese neue Identität definiert sich über eine neue Größe: die Erfahrung des drohenden oder bereits eingetretenen Scheiterns.