Diese Inhalte sind Auszüge aus dem Buch "sch", das im Oktober 2003 erscheint. Jetzt bestellen!

Die Kunst des Scheiterns

"Mit jeder Erfindung, ist der Unfall, das Scheitern mit
erfunden." (Paul Virilio)

von Nina Mayrhofer

Kunst entzieht sich einer Definition. Das heißt einer einzigen Definition. Umso mehr entsteht hier ein Spannungsfeld zwischen dem so genannten Kunstmarkt und der Kommerzialisierung auf der einen und der „freien“ Hingabe des Künstlers aus Überzeugung an der Sache auf der anderen Seite. Kunst will Kunst und besteht auf ihrer Zweckfreiheit. Die Sinnhaftigkeit ergibt sich aus dem Werk und der Interaktion mit dem Betrachter. Oder auch nicht. Klare Abgrenzungen, wer denn nun ein Künstler sei, ist eben ein langes Kapitel einer unendlichen (Kunst-)geschichte. Das Klischee des frierenden Künstlers in der Dachkammer steht dem Bild eines Künstlers entgegen, der sich und seine Seele verkauft hat und dessen Werk der Kommerzialisierung anheim gefallen ist. Diese Schwarz-Weiß-Malerei ist aber im Grunde nicht mehr vorhanden. Fronten verschwimmen und Definitionen machen nur für ein begrenztes Publikum Sinn.
Das Scheitern ist der Kunst implizit. Ein Künstler, der aus einem negativen Ereignis sein kreatives Potential schöpft, ist interessanter und griffiger als eine Person aus der „heilen Welt“, einer Kunstschule beispielsweise. Joseph Beuys Werk etwa lässt sich vielseitig durch seinen privaten Hintergrund erklären. Ein Flugzeugabsturz, die Rettung – Filz und Fett, das ihn vor dem Erfrierungstod bewahrte.
Das Unglück, das Hinfallen mit Herzblut und scharfen Wunden ist nicht nur als Potential für produktive Kraft zu sehen. Das Scheitern, oder milder gesagt, das Misslingen im Prozess des Erschaffens liegt gerade in der Kunst auf dem Weg zu einem Ergebnis. Zehnmal schief gegangen, einmal Meisterwerk.

„Solche Kunstwerke, wie sie heute üblich sind, kann ich gar nicht fertigstellen. Dazu fehlen mir Könnerschaft und Unverschämtheit. Ich beließ es daher besser bei gelegentlichen Bierdeckelskizzen und kletterte doch lieber wieder kunstlos durch die Irrenhäuser Hegels, anstatt im Kreis durch doofe Galerien.“ (Kapielski)


Umsetzung seines Bildes im Kopf in ein für ihn gerechtes Medium. Dann das vollendete Werk. Das immer noch am Kunstmarkt an seiner Verkäuf-lichkeit scheitern kann. Ob van Gogh nur deswegen Berühmtheit erlangte, weil sich seine Bilder erst nach seinem Tode verkaufen ließen? Sozusagen das Ableben als Bedingung für das Aufstreben am Markt. Von diesem Erfolg konnte er nichts mehr mitbekommen und deswegen ist wohl sein Ziel ein ernst genommener Künstler zu werden fehlgeschlagen. Aus subjektiver Sicht. Das kann man heutzutage bestimmt nicht behaupten. Natürlich ist van Gogh erfolgreich.
Das heißt, sowohl der Faktor Zeit als auch das individuelle Lebensziel und die Einstellung des Umfeldes gegenüber dem Produkt und dem Selbst sind die Kriterien für ein (erfolgreiches) Scheitern. Jedoch: Ist es mehr Misserfolg, wenn sich das Produkt verkaufen lässt, oder ist es dann ein wichtiges Werk einer Avantgardebewegung, die sich gegen die bis dahin geltenden Regeln und Gesetze sträubt? Nicht beantwortbar.
Die Notwendigkeit des Scheiterns für eine Haltung abseits vom Main-stream gilt vielleicht als natürliche Ingredienz von Avantgarde bewegungen. Etwa der Dadaismus oder auch die Surrealisten waren zu ihrer Zeit nur für einen engeren ausgewählten interessierten Kreis zugänglich. Zugang im Sinne von Verständnis. Die konventionelle Sicht mag auch diese Kunstformen zu der Zeit als gescheitert angesehen haben. Vor allem was ihre tatsächliche Wirkung und ihren Einfluss auf sie umgebende Systeme – seien es politische oder gesellschaftliche – betrifft, mögen sie weitgehend ohne Erfolg gewesen sein.

„Die Zeit heilt alle Wunden“ ist eine Floskel, die für das Scheitern im Bereich der Kunst eben die Rückkopplung eines Erfolges schaffen kann. Kunstgeschichte, und somit wohl eine Wertung des Erfolgspotentials eines Kunstschaffenden kann meist nur rückwirkend oder zeitverschoben passieren. Das bringt uns zurück von dem zu Lebzeiten wenig Geschätzten zu dem im Nachhinein hochgefeierten Kreativen.

Die Bereiche der Kunst, die sich mit dem Scheitern schneiden, enthalten somit vielfältige Perspektiven. Einmal die erwähnte Spannung zwischen Künstler und seinem Produkt – das mehr oder weniger geschlossene System der Ideenfindung, Umsetzung oder Konzeption und des Schaf-fensprozesses. Andererseits die Sicht des Marktes auf Künstler und Produkt. „Unfertige“ Konzepte und Werke haben ihre Rechtfertigung selbst in diesem Stadium als Endprodukt und finden in eben diesem Kontext ihre eigenen Räume und Ausstellungen. Hier eröffnet sich die Möglichkeit der Offenheit des Kunstwerkes und des erweiterten Kunstbegriffes. Das Unvollendete bedeutet aber nicht zwingend ein Scheitern am Ausgangspunkt. Es gibt eine Transformation des Prozesses, die an einem selbstgewählten Punkt endet. Die Thematisierung des Scheiterns in der Kunst selbst liegt nahe an der Ebene des abgebrochenen Schaffens. Gerade aber das Unvollkommene erlangt das Interesse der Öffentlichkeit – etwa vor kurzem in der Ausstellung in Österreich „Fehlschläge? - Ein Exkurs über das Scheitern“ – und zeigt die mögliche Publizität des Unfertigen. Ein Blick auf Werke zwischen Gelingen und Misslingen und Misserfolg als Motor des Lernens. Der positive Auftrieb nach dem Fall als kreative Erweiterung und Lehre.


Scheitern als „das große moderne Tabu“, wie der Soziologe Richard Sennett es beschreibt, ist hier wohl hinfällig. Die Thematik erfährt geradezu eine aufstrebende Popularität. Eben im Bereich der Kunst ist die Tragik von Geschichten und Leben hinter Werk und Künstler ein pushender Effekt. Die Ausweitung der persönlichen Geschichte des Künstlers, die Auslegen der Biografie auf seine Werke ist für ein Kunstverständnis problematisch. Durch Geschichten, Bilder in der Geschichte der Persön-lichkeit, können sich Bilder im Kopf beim Betrachter und Rückschlüsse auf Intentionen des Künstlers ergeben. Interpretation eben. Das erleichtert das Verständnis ungemein, kann aber vielerseits zu groben Miss-interpretationen der tatsächlichen Intention führen.

Und hier wird die Unvollkommenheit interessant. Perfektion ist zu glatt, zu einfach im Sinne von geradlinig. Daher sind „unvollkommene“ Werke auch so spannend. Sie scheinen Einblicke in die Arbeitsprozesse zu gewähren. Der Moment des Scheiterns liegt auf kurvigem Weg. Undefi-nierbarkeit macht vieles schwerer. Aber deshalb umso spannender. Definitionen sind Rettungsreifen. Kunst bezieht Definitionen.